Alexandra Tobor – „Sitzen vier Polen im Auto“

Alexandra Tobor las in sehr bildhafter Sprache aus ihrem 2012 erschienenen Erstlingswerk „Sitzen vier Polen im Auto“.

Alexandra Tobor las im Begegnungszentrum „B-vier“ in Asemissen

Leopoldshöhe-Asemissen (pk) Auf Einladung des Partnerschaftsvereins Leopoldshöhe und der Gemeindebücherei las Alexandra Tobor am 8. November im Asemisser Begegnungszentrum „B-vier“ aus ihrem Buch „Sitzen vier Polen im Auto“.

Heike Kortekamp stellte die Autorin vor, die zum 20-jährigen Bestehen der Partnerschaft mit dem Ostblockstaat Polen eingeladen wurde. Bereits zum zweiten Mal – nach dem Tatort Forum, „Treff der Nationen“ -besuchte die Autorin den Leopoldshöher Süden. Rund 60 Zuhörerinnen und Zuhörer waren es, die den Weg in das „B-vier“  gefunden hatten, um der deutsch-polnischen Autorin zuzuhören.

Alexandra Tobor, die 1989 als 8-jährige von Polen nach Deutschland umsiedelte und im Roman Ola heisst, las aus ihrem Erstlingswerk. Aus der Sicht der kleinen Ola erzählte Alexandra Tobor, was ihr selbst widerfuhr damals, als sie mit der Familie Polen verließ. Mit Bildern endloser Menschenschlangen vor leeren Geschäften illustrierte Tobor die wirtschaftliche Misere: „Die Wurstfrau war die mächtigste Frau in der Stadt.“

Selbst Klopapier war ein seltenes Gut und war schon irgendwie eine eigene Währung: Wer es besaß, trug es wie einen Lorbeerkranz um den Körper. „Wir hatten keine Süßigkeiten, kaum Spielzeug, deshalb waren wir mit Fantasie unterwegs“, versicherte Tobor. Da mussten Opas Gallensteine herhalten, die Ola ihrer Freundin Aneta als vertrocknete Himbeeren andrehen wollte. Wer eine der tschechischen Puppen ergatterte, konnte sich glücklich schätzen.

Der erste Kontakt mit der „Anderswelt“ ist, als Ola im Keller ein Buch entdeckt: den OUELLE Katalog. Dieser Quelle-Katalog wird zum Zukunft verheißenden Goldenen Buch. Irgendwann brüllt Ola ihre Eltern an: „Ich will Zukunft, und ich will Gummibärchen!“ Wer die sympathische und Lebenslust versprühende Autorin erlebt, nimmt ihr die Forderung ab.

Ola ist eine ebenso sympathische Figur wie Alexandra – beide muss man sofort mögen. Die sehr bildhafte Sprache unterstützte Alexandra Tobor während der Erlebnis-Lesung mit Zeugen aus vergangener Zeit: Cola-Dose und Katzenzungen, Haribo-Bärchen und Kiwis waren ebenso heiß begehrte Sammelstücke wie die Ananas, „die das Symbol für den Westen schlechthin war“. Köstlich war, wie die Autorin Land und Leute beschreibt, Wortmalereien gar sind es, die ein Gesamtbild entstehen lassen.

Die studierte Soziologin, Psychologin und Kunsthistorikerin erzählt mit so viel Wortwitz, dass selbst traurige Passagen den oft herzhaft lachenden Gästen noch ein Schmunzeln erlauben. 1989 wird „rausgefahren“ nach „BRD“, was bei Ola höchste Erregung verursacht.

„In Polen wurden Ausländer wie heilige Kühe verehrt. Warum sollte das hier anders sein?“ Doch „Andersland“ ist eben anders, was beim ersten Gang durch einen Supermarkt – in der China-Abteilung – schnell klar wird: „Die Deutschen essen Hunde und Katzen“, staunt Ola, doch der Vater klärt auf: „Das ist Futter für Hunde und Katzen.“

Ola aber war sich nicht sicher, was sonderbarer war: Hunde und Katzen zu essen oder ihnen Essen zu kaufen. Die Erlebnisse im Wohnheim, der erste Schultag – man will mehr wissen vom Schicksal der kleinen Ola in dieser Geschichte von Hoffnung, Träumen, Entbehrungen und skurrilen Eindrücken. Wie ist es ihr weiter ergangen in diesem erträumten Sehnsuchtsland?

Die Gäste jedenfalls kauften später den Büchertisch fast leer, um die teutonischen Abenteuer bis zum Ende genießen zu können. Eine Fortsetzung ist laut der Autorin in Arbeit. Auch Alexandra Tobors 2016 erschienener Roman „Minigolf Paradiso“, der sich mit dem Thema Kulturwechsel und Identität beschäftigt, fand seine Abnehmer.

Rund 60 Gäste verfolgten die wortwitzige Lesung. Fotos: Petra Kretschmer
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