
Landwirtschaft ist nachhaltig, das Bahnprojekt Hannover – Bielefeld nicht!
Herford (WLV/Me) Die Diskussionen über die ICE- Strecke zwischen Hannover und Bielefeld nehmen wieder Fahrt auf. Genau deshalb haben die Landwirte in Herford und Bielefeld eine Plakataktion gestartet, mit der sie klar machen: Landwirtschaft ist nachhaltig, das Bahnprojekt Hannover – Bielefeld ist das nicht!
Dazu haben sie an markanten Stellen im Kreis Herford und der Stadt Bielefeld bauzaungroße Plakate in Straßennähe aufgestellt. „Die Plakate sollen auf das Dilemma aufmerksam machen, welches ein Neubau der Zugstrecke für uns alle und die Natur bedeutet“, erläutert Kreisverbandsvorsitzender Hermann Dedert.
„Wir dürfen im Interesse unserer heimischen Landwirtschaft und aller Menschen in unserem ländlichen Raum nicht lockerlassen“, so die Landwirte, die sich zu dieser Aktion am Donnerstag, 5.10., auf einem Acker in Herford-Elverdissen versammelt haben.
Unüberblickbare Folgen für Mensch, Tier und Natur
Mit einem Neubau durch die derzeit landwirtschaftlich genutzten Flächen und unberührte Natur können Folgen für unsere Umwelt eintreten, die wir noch gar nicht überblicken können. Tunnel durch das Wiehengebirge und tiefe Eingriffe in den Boden werden den Fluss des Wassers verändern und womöglich die Trinkwasserversorgung in ganz Ostwestfalen-Lippe gefährden. Die Mengen von ausgestoßenem CO2 während der Bauphase könnten erst in vielen Jahrzehnten wieder ausgeglichen werden.
Für die Landwirte ist klar: der Nutzen ist bei diesem Vorhaben zu gering, die Risiken viel zu hoch – sie alle plädieren deshalb für einen Ausbau der Bestandsstrecke.
Die sogenannte Bürgerbeteiligung rund um das Projekt und den Deutschlandtakt ist gewaltig und fordernd, doch haben alle beteiligten gesellschaftlichen Gruppen das Gefühl, überhört und ignoriert zu werden.
Zum Hintergrund:
Wie ist die Betroffenheit der Landwirtschaft?
Im Suchraum für die ICE-Trasse liegen in Niedersachsen der Landkreis Schaumburg, Teile der Region Hannover, des Landkreises Hameln-Pyrmont sowie marginal des Landkreises Nienburg. In Nordrhein-Westfalen sind Teile der Landkreise Minden-Lübbecke, Lippe und Herford sowie die Stadt Bielefeld betroffen. Mehr als 1.100 landwirtschaftliche Betriebe liegen in diesem Suchraum.
Nach derzeitiger grober Schätzung werden inklusive der benötigten Böschungs- und Abstandsflächen ca. 400 bis 500 ha für einen Trassenneubau benötigt. Genaue Werte sind nach jetzigem Kenntnisstand nicht abschätzbar und könnten auch je nach Geländerelief noch höher liegen.
Hinzu kommt ein Mehrfaches dieser Fläche, die als Ausgleichs- und Kompensationsflächen der Landwirtschaft ebenfalls verloren gehen oder auf denen zumindest nur eine beschränkte Bewirtschaftung möglich ist.
Die durchschnittliche Betriebsgröße in Ostwestfalen-Lippe (NRW) beträgt ca. 50 ha. Allein für den Neubau einer Bahntrasse ohne Berücksichtigung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen verlieren daher statistisch ungefähr 8 landwirtschaftliche Betriebe ihre Existenzgrundlage.
In Deutschland ernährt ein(e) Landwirt(in) statistisch gesehen 139 Menschen (Quelle BLE; 2022). Damit entfällt die Nahrungsmittelerzeugung für ca. 1.100 Menschen jährlich. 8 Betriebe mögen Ihnen nicht viel erscheinen, aber es geht auch um Familienexistenzen, die nicht geopfert werden müssen, wenn von Seiten der Deutschen Bahn die möglichen Alternativen zu den 31 Minuten ernsthaft in Erwägung gezogen werden.
Ziel des Deutschlandtaktes ist es, unter anderem die Fahrzeit von Hannover bis Bielefeld auf bis zu 31 statt 48 Minuten zu senken.
Allein für diesen vergleichsweise kleinen Streckenabschnitt innerhalb Deutschlands will man also für jede zweite Minute Fahrtzeitverkürzung mindestens einen gesamten landwirtschaftlichen Betrieb bzw. die Nahrungsmittelgrundlage für 139 Menschen opfern!
Was ist der Landwirtschaft noch wichtig?
Der bisherige Planungsdialog der Deutschen Bahn zu diesem Projekt war eine Farce! Die Deutsche Bahn hatte ein sogenanntes Plenum eingerichtet und „informierte“ darin die Betroffenen. Die Informationen bestanden darin, dass man mit Daten, Zahlen, Statistiken und Bewertungskriterien überhäuft wurde. Diese waren in der Menge nicht nachzuvollziehen.
Allein der angebliche Grundsatz, man werde offen und ohne Vorab-Festlegungen in die öffentliche Diskussion gehen, ist ad absurdum geführt, wenn im gleichen Atemzug gesagt wird, dass aber der Deutschlandtakt mit 31 Minuten Fahrzeit erfüllt werden müsse. (Egal wie weit Hannover und Bielefeld auseinanderliegen?) Hier wurde ein Mitspracherecht suggeriert, das aus unserer Sicht überhaupt nicht besteht.
Wir als Landwirtinnen und Landwirte in den genannten Landkreisen und Kommunen stehen einer Verbesserung der Attraktivität des Bahnverkehrs und damit des Klimaschutzes keinesfalls entgegen, fordern aber mit Blick auf den großen Verbrauch an Flächen mehr Augenmaß bei der Umsetzung dieses Milliarden-Infrastrukturprojektes.
Dazu gehört es, die bereits vorhandene Strecke und deren Infrastruktur weiter zu nutzen, um den Flächenverbrauch zu minimieren. Außerdem steht eindeutig fest, dass ein Ausbau der Bestandsstrecke auch zu einer Verringerung der Fahrzeit auf 39 Minuten führen würde. Und dies ließe sich gut in einen alternativen Takt integrieren. Dies haben unabhängige Untersuchungen gezeigt.
Auch das Thema Klimaschutz wird mit einem Neubau der Bahntrasse ad absurdum geführt. Beim Bau würde so viel CO2-Äquivalent in die Atmosphäre gelangen, dass die Züge lange, lange fahren müssten, um dieses zu neutralisieren.
Durch den Trassenneubau gehen den landwirtschaftlichen Betrieben in den betroffenen Regionen hochwertige landwirtschaftliche Flächen dauerhaft verloren.
Aber nicht nur das:
- Flächen gehen nicht nur für die Grundfläche der ICE-Trasse verloren, sondern auch durch die Zerschneidung und Anschneidung bestehender Acker- und Grünlandschläge in unwirtschaftliche Restflächen.
- Je mehr Fläche für einen Trassenneubau benötigt wird, desto mehr Flächen werden zusätzlich als Ausgleich für den Eingriff in Natur- und Landschaft benötigt.
- Ein neuer Trassenverlauf führt dazu, dass bestehende Straßen- und Wegenetze zerschnitten werden, die ihrerseits durch die Schaffung neuer Straßen und Wege wiederhergestellt werden müssen. Dieses führt zudem nicht nur für landwirtschaftliche Betriebe – auch unter Umweltgesichtspunkten- zu unerwünschten Umwegen.
Besonders einschneidend ist es, wenn viehhaltende Betriebe ihre Hof nahen Weideflächen verlieren und dadurch eine Weidehaltung dauerhaft unmöglich gemacht wird.
Die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben uns allen die Wichtigkeit von Versorgungssicherheit und Autarkie in Deutschland und der Europäischen Union vor Augen geführt. Die Erhaltung unserer Acker- und Grünlandflächen ist ein wesentlicher Baustein, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern und Verbraucherpreissteigerungen entgegenzuwirken.
Leider sehen wir im bisherigen Planungsdialog die Notwendigkeit einer Minimierung der Flächeninanspruchnahme nicht angemessen berücksichtigt. Natürlich wissen wir, dass auch für einen Ausbau der Bestandstrasse Flächen in Anspruch genommen werden müssen. Dennoch sehen wir diesen Eingriff als deutlich weniger einschneidend an als einen Trassenneubau, der dann zusätzlich an anderer Stelle zu einer gänzlichen Zerstörung vorhandener Strukturen führt.
Ausbau der Bestandsstrecke anstreben
Daher appellieren wir an alle Entscheidungsträger, sich dafür einzusetzen, dass vorrangig ein Ausbau der Bestandstrasse statt einer Neubautrasse zwischen Hannover und Bielefeld angestrebt wird. Denn was nützt uns der Deutschlandtakt, wenn am Ende der Schaden durch den Verlust von landwirtschaftlichen Nutzflächen sowie die Zerstörung von Natur und Landschaft größer ist als sein Nutzen?